1
Mai
2009

Do samma!

Samstag, 18.4.

Der Vormittag des Samstags ist durch letzte Pack-Aktionen ausgefüllt. Immer wieder überkommt mich das Gefühl, wichtige Sachen zu vergessen, wie eigentlich vor jeder Reise. Um 12 Uhr ist der Mietwagen in Aachen gebucht. Doch der Verkehr stockt, wir kommen fünf Minuten später an der Sixt-Mietwagenstation an. Zu spät. Die Türen sind dort bereits verschlossen. Eine Klingel ist nicht zu sehen. Die einzige Möglichkeit, und bemerkbar zu machen, sind Klopfzeichen an der Türe. Daraufhin erscheint ein junger Mann, der wild gestikulierend deutlich macht, daß wir zu spät kommen. Es kann ja nicht wahr sein, man hat ein Auto reserviert, telefonisch bestätigt, und jetzt sind die Türen verschlossen. Nachdem der Mensch genauso schnell wieder verschwunden war, wie er aufgetaucht ist, klopfen wir heftiger und vehementer. So einfach gibt man ja schliesslich nicht auf. Daraufhin wird die Tür geöffnet, uns aber kein Einlass gewährt, sondern darauf aufmerksam gemacht, dass wir ja die Türe beschädigen würden. Jetzt wird es mir zu bunt. Ich schiebe den Kerl zur Seite, betrete die unheiligen Räumlichkeiten und lasse mich auf einen Lederstuhl nieder, der vermutlich modern sein soll. Ich stelle klar, daß ich darauf bestehe, das gebuchte Auto jetzt abzuholen. Der Wicht erhält nun Verstärkung durch einen Anzugträger. Ob es sein Chef ist, darüber kann ich nur mutmaßen. Doch auch dieser kommt nicht zur Einsicht, daß Kundenfreundlichkeit vor Stechuhr geht, und es kommt zu einer längeren verbalen Auseinandersetzung, nach der wir schliesslich wütend die Stelle des Ärgers verlassen...ohne Fahrzeug. In einem benachbarten Autohaus erfahren wir, daß Europcar einen 24h-Service hat. Für etwas mehr Geld mieten wir dort innert 10 Minuten einen Kleinwagen. 10 Minuten, die bei Sixt zu viel waren. Zurück am Eigenheim wird das Kütschlein beladen, fast bis unters Dach. Nun naht die Stunde des Abschieds. Mein Sohn realisiert sicher nicht, wie lange ich nun weg sein werde von daheim. Als ich im Auto sitze, kommen mir dann doch noch die Tränen. Wie wird es sein, da oben, ganz alleine auf weiter Bergflur? Was wird mich erwarten? Ich versuche, die Gedanken zu verdrängen und höre im Autoradio einem österreichischen Kabarettisten zu. Vielleicht eine gute Einstimmung. Die Fahrt geht ohne Verkehrsprobleme über Frankfurt und Nürnberg gen München. Nachdem ich die strahlendblaue Arroganz-Arena (früher nannte man sowas Fußballstadion) passiert habe, wird es allmählich finster und ich bekomme Hunger. Doch der erste Gasthof hinter München hat wohl beschlossen, in die Feierabendmentalität miteinzustimmen und verweigert mir mittels versperrter Türe sogar schon 10 Minuten vor offiziellem Geschäftsschluß den Zugang. Irgendwie kennen wir das nun ja schon. Ein paar Kilometer weiter ist man gnädiger gestimmt und serviert mir noch eine Portion Spaghetti. Böse Verdächte keimen auf: Wird es gar möglich sein, in Bayern zu später Stunde auf freiem Feld zu verhungern? An eine 24h-Nahrungsversorgung im städtischen Umfeld gewohnt, bekomme ich schon ein flaues Gefühl im Magen, da helfen auch die italienischen Langnudeln nichts. Die Fahrt zieht sich noch, einmal verfahre ich mich fast in den Canyons zwischen Reichenhall und Berchtesgaden. Mein Ziel, die Buchenhöhe ist erstaunlich gut ausgeschildert. So erreiche ich dann müde um kurz nach Mitternacht mein Domizil. Ich steige aus, es ist verdammt frisch, doch die Luft ist von Tannenduft erfüllt, fast wie aus einer Badeschaum-Flasche. Nur besser, echter, holziger. Ich atme tief durch und verspüre noch die Energie, komplett auszuladen. Indes hat die eingesperrte Luft Zeit, aus dem Fenster zu entweichen und so finde ich dann ein paar weitere Stunden später endlich auf der vollkommen durchgelegenen Matratze Ruhe. Jede Federwindung bohrt sich boshaft in meinen Rücken und ich beschliesse, gleich als erstes am Montag um einen neuen Schlafuntergrund zu ersuchen.


Sonntag, 19.4.
Der Morgen weckt mich. Das Licht könnte man sagen, sei schuld gewesen. Vorwitzig dringt es zwischen den Vorhängen herein. Rolläden oder ähnliches gibt es leider nicht. Ich mag aber noch nicht aufstehen. Autofahren macht müde. So bleibe ich so lange im Bett wie möglich. Gegen 10 Uhr muss ich mich dann doch aus der 2-Meter Horizontalen erheben. Schliesslich muss ich noch den Wagen loswerden. Das geht nur in Freilassing, einem gut 45 Minuten entfernten Ort, einer etwas grösseren Ansammlung von Häusern, der mit der Bezeichnung „Stadt“ wuchert, was beinahe schon grössenwahnsinnig wirkt. Mit Schrecken stelle ich fest, dass die Annahmestation nur bis 12 Uhr geöffnet hat. In Bad Reichenhall wird mir gewiß, daß ich diese Frist nicht mehr einhalten kann. Sollte mich das Phänomen der verschlossenen Tür die nächsten drei Monate ständig begleiten? Ich rufe an. Nein, man könne den Schlüssel „freili“ auch in den Briefkasten werfen. Mir fallen ganze Schlüsselbünde vom Herzen. Es geht also doch mal einfach und unbürokratisch. Gut gelaunt passiere ich das Ortsschild von Freilassing, nachdem ich hinter der Grenze noch die österreichische Mineralölbesteuerung ausgenutzt habe. Die Heimstätte des Kutschenverleihers findet sich sofort. Nachdem ich den Wagen genaustens auf Gegenstände untersucht habe, die sich, obwohl in meinem Eigentum irgendwo boshaft versteckt haben könnten, mit negativem Ergebnis inspiziert habe, lustwandle ich entlang einer Durchfahrtsstraße zum Bahnhof. Der Himmel über mir ist weißblau, die Mietshäuser wirken schier pittoresk. Die Bäume strotzen vor Lebenskraft, die Wiesen sind noch grüner als andernorts. Vor meinem geistigen Auge bekommen die Verkehrszeichen schon Holzschnitzereien an ihren Rändern. Maßbierkrüge ziehen an mir vorüber...ach nein, es sind doch nur Autos. Ich bin angekommen im Freistaat, da wo der anständige Bürger am Wahlsonntag seinen Stimmzettel zwischen Messbesuch und Stammtischgang ausfüllt, stets ohne ihn in voller Länge zu entfalten. Ich schlage mich mit dem unerhörten Gedanken herum, was passieren würde, vertauschte man die Reihenfolge der Parteien auf dieser Liste. Zur Strafe für diese Freveleien verpasse ich meinen Zug in die Berge um eine Minute. „Zefix!“ entfährt es mir. Eine Hopfenkaltschale würde mir jetzt gut zu Gesichte stehen, eine Grundlage für den Magen obendrein. Ich probiere es mit einer Pizza in einem bahnhofsnahen Gasthaus. Man lässt mich nicht in der unverschämt gemütlichen Sofaecke des Lokales speisen. Ordnung und Sauberkeit müssen sein. Wo samma au dahoam? Zum Essen wird an den Tisch gesessen, auch wenn der bayerisch sprechende Wirt eher einem anderen Freistaat, vermutlich einem am Bosporus angesiedelten, entstammt. Hektisch setze ich mich mit dem Zeiteisen auseinander, um nicht noch einmal die Rücklichter des Bummelzuges zu sehen. Nein, diesmal finde ich Platz in den klimatisierten Wagen der ÖBB. Neben mir sitzt ein älteres Ehepaar, das schluckaufähnliche Laute austauscht. Diese sollte ich in den nächsten Tagen noch öfters zu Ohren bekommen. In mir keimt der Verdacht, es könnte sich um die ortsübliche Sprachfärbung handeln. Do schau her!
In Berchtesgaden darselbst, das anstelle eines gebührlich schnöden „Haltepunkts“ einen viel zu großen und protzigen Bahnhof aufweist, ist dann erst einmal Endstation. Der nächste Bus in die Höhen des Obersalzberges fährt erst in zwei Stunden. Ich suche die Bahnhofsbibliothek auf, wo mir ein Alpenvereinsführer und eine passende Karte in die Hände fällt. So kann ich mir wenigstens schon einmal Appetit auf Freiezeitbeschäftigung in meinen freien Stunden machen. Ich beschliesse, die überschüssige Zeit für einen einen kleinen Erkundungsspaziergang durch den Ort zu nutzen. Dabei stellt sich heraus, daß dieser geschätzt die Fläche Shanghais aufweist, allerdings nur die Einwohnerschaft einer äusseren Hebrideninsel. Man könnte also sagen, die Siedlung ist zerstreut, weitläufig. Ich finde das Nationalpark-Informationszentrum. Es ist wie alle Informationszentren: Unübersichtlich, didaktisch verheerend und verwirrend. Überflüssig zu sagen, daß es keine Lust macht auf Erkundungen im Nationalpark selbst. Ich beschliesse, mir durch solch ausgeklügeltes Marketing nicht die Laune verderben zu lassen. Der Blick auf die Kirchturmuhr gewährt noch einen Abstecher in die Eisdiele. Natürlich in jene, wo es das beste Eis der Welt gibt. Folglich schlecke ich also schon wenige Minuten später zum bestimmt hundertsten Mal in den letzten fünf Jahren das leckerste Eis der Welt, wenn nicht des ganzen Universums. Wie lustig, daß dies immer dort kredenzt wird, wo ich mich zufällig gerade befinde. Es kann nur eine Ursache für diesen Umstand geben: Die Welt dreht sich doch nicht um die Sonne, sondern um mich! Irgendwann werde ich den Beweis dafür antreten, dös is fei gwiiiß! Als ich mich wiederum am Bahnhof einfinde, steht auch der Bus parat, der mich dann in überraschend kurzer Zeit zur Buchenhöhe bringt. Da das Wetter immer noch sehr schön ist, starte ich noch einen kurzen DX-Spaziergang auf eine Anhöhe. Dort betätige ich mich sogleich als DEGENfechter und entlocke dem Äther zahlreiche Signale. Auch manch unverständliche, wobei es diesmal überraschenderweise nicht die bayerische, sondern die tschechische Sprache ist, die mir böhmische Dörfer vors geistige Auge zaubert. Der mächtig coole austrische Jugendsender FM 4 tritt den Beweis an, dass auch englisch nicht immer leicht verständlich sein muß. Besonders dann nicht, wenn es mit starkem ostösterreichischem Akzent dargeboten wird. Schmääähnglisch also, sozusagen. Nachdem die Wolken zunehmen und der Wind pfeift, wird es doch frisch am soeben entdeckten Westausguck, wo sogar die Hornisgrinde, wie eigentlich überall in unserem Sonnensystem, „effektiv ständig fadend“ hereinkommt. Die Welt ist also in Ordnung. Somit beschliesse ich, den Rückzug anzutreten. In meiner nicht allzu gemütlichen Heimstätte versuche ich nun, auch dem heimischen Tuner Signale zu entlocken. Das gelingt nicht sehr vielversprechend, da ich das richtige Antennenkabel nicht gefunden habe. Ich bewaffne mich nun noch mit dem Lötkolben, um ein solches zu basteln. Dies ist allerdings nicht von großem Erfolg gekrönt. Ob dies nun am Lötkolben, am Lötzinn, an den Steckern oder am schummrigen Licht liegt, weiss ich nicht. Ich beschliesse, daß es keinesfalls an meinen rudimentären Lötkenntnissen liegen kann, und gebe zu sehr vorgerückter Stunde frustriert auf.
So bringt mir meine Notfrickellösung aus dem Kenwood nur verrauschte Signale. Um mich zufrieden zu stellen, beschliesse ich, daß dies an der eigenartigen Kessellage der Buchenhöhe und an den undurchdringlichen Wänden meiner Behausung liegt. Vielleicht spielt auch noch die Feindsenderabwehr der bayerischen Regierung eine Rolle. Die Müdigkeit siegt dann über meine Verschwörungstheorien und ich schlummere ein.
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